UND ÜBER UNS DER HIMMEL
Auf dem Deck liegen, in die Sterne schauen und das Leben genießen. Solche Momente eines Segeltörns unter dem Nachthimmel über den Kanarischen Inseln sind unvergesslich. Astrophysiker Dr. Dirk Soltau weiß, warum das so ist.
Der Sternenhimmel über den Kanaren wirkt für uns Laien unvergleichlich schön. Sehen Sie das als Fachmann auch so?
Dass wir dies an Deck eines Segelschiffes so empfinden, liegt natürlich auch an der besonderen Stimmung auf einer solchen Reise. Wir sind entspannt, wir empfinden das Einzigartige dieser Augenblicke intensiver als im Alltagsstress zuhause. Genau dies macht diese Reise so schön und so erholsam. Tatsächlich ist der Himmel über den Kanaren aber häufig auch viel klarer als anderswo. Deswegen sind die Inseln bei Astronomen sehr beliebt. Allerdings müssen Sie dann schon auf etwa 2000 bis 2500 Meter Höhe klettern.
Warum ist denn der Himmel ausgerechnet über den Kanarischen Inseln so besonders? Und warum müssen Astronomen so hoch klettern, wenn es an Bord eines Schiffes doch auch schön ist?
Um den besonderen Charakter des Sternenhimmels über den Kanaren zu erklären, müssen wir ein bisschen in die Physik eintauchen. Einen wolkenfreien Himmel vorausgesetzt, ist die Sicht nach oben dann besonders gut, wenn Sie durch eine möglichst ruhige Luftschicht schauen. Die Luft über Land wird unterschiedlich stark erwärmt; durch die schwankenden Temperaturen entwickeln sich gewissermaßen Schlieren in der Luft, die das Licht der Sterne unterschiedlich brechen, so dass das Bild flimmert und weniger klar erscheint. Über einem gleichmäßigen Körper wie dem Ozean ist die Luft deutlich ruhiger, entsprechend weniger wird die Sicht gestört. Die Kanarischen Inseln ragen mit nur wenig Abstand zum Ozean sehr hoch aus dem Wasser heraus – zwischen dem Meer und den Gipfeln befinden sich nur so wenige Kilometer Land, dass es die Luftmassen nicht durcheinanderbringen kann. Das gibt es sonst nur auf Hawaii, deswegen sind beide Inselgruppen so gute Standorte für astronomische Observatorien. Je höher die Sternwarten stehen, desto dünner ist die Luft über ihnen – deshalb sehen Astronomen dort deutlich mehr als von Bord eines Schiffes.
Selbst wenn wir Laien die Sterne nicht so gut sehen können wie die Fachleute in den Observatorien, begeistert uns das Funkeln am Himmel doch so sehr wie kaum etwas anderes. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Ich kann mir gut vorstellen, dass dieses besondere Verhältnis zu den Sternen am Nachthimmel schon in der Steinzeit entstanden ist. Nachts lebten die Menschen damals in einer Dunkelheit, die wir uns heute nicht mehr vorstellen können. Dann zu scheinbar feststehenden hellen Lichtern am Himmel aufschauen zu können, die jeden Abend aufs Neue erschienen, muss schon etwas Beruhigendes und auch Mystisches gehabt haben. Nicht von ungefähr wurden viele der Sternbilder zu Gottheiten erhoben. Und dieses Gefühl, zu etwas Unerreichbarem und trotzdem Sichtbaren aufzuschauen, verspüren wir heute noch, auch wenn wir uns viele Dinge natürlich längst viel besser erklären können.
Sterne geben Seefahrern Sicherheit, weil sie ihnen auf hoher See als Orientierungshilfe dienen. Wie wichtig war Columbus der Blick nach oben, als er sich auf den Weg nach Indien machte – wie er glaubte – und mit den Kanarischen Inseln ein letztes Mal für viele Wochen Land sah?
Schon Odysseus hat sich an den Sternen orientiert, wie es in der Odyssee nachzulesen ist. Allerdings war die Sternennavigation damals und auch ihm 15. Jahrhundert nicht mit der modernen Astronavigation zu vergleichen. Columbus konnte einigermaßen verlässlich den Winkel zwischen dem Horizont und dem Polarstern feststellen und damit die geografische Breite seines Ortes ermitteln. Den Längengrad konnte man seinerzeit nur schätzen – man musste immer genau in eine Richtung fahren und dabei die Geschwindigkeit messen und so den zurückgelegten Weg erfassen. Columbus war überzeugt, dass er nach Indien kommt, wenn er auf dem 30. Breitengrad immer nach Westen segelt. Aber offenbar hat die Mannschaft seinen Navigationskünsten nicht so richtig getraut. Wenn man seinen aufgeschriebenen Kurs nachzeichnet, sieht man mitten auf dem Atlantik eine große Beule in der Kurslinie.
„Wenn du bei Nacht den Himmel anschaust, wird es dir sein, als lachten alle Sterne, weil ich auf einem von ihnen wohne, weil ich auf einem von ihnen lache. Du allein wirst Sterne haben, die lachen können“.
„Der kleine Prinz“, Antoine de Saint-Exupéry
Was war Ihr persönlicher Polarstern, der Sie auf den Kurs gebracht hat, Astrophysiker zu werden?
Mit fünf Jahren wollte ich Feuerwehrhauptmann werden. Da spielten die Sterne noch keine Rolle. Mit 10 hatte ich die Idee, als Meteorologe auf abenteuerliche Expeditionen zu gehen. In der Schule kam dann das Interesse an der Physik und an der Astronomie hinzu…
… für viele Menschen geht es bei beidem um etwas, das sie sich überhaupt nicht vorstellen können …
… genau das ist gerade das Spannende daran. Als Astrophysiker beschäftige ich mich ganz häufig mit Dingen jenseits der menschlichen Vorstellungskraft. Nehmen Sie nur den Begriff der Raumzeit und Einsteins allgemeine Relativitätstheorie. Beides kann man sich als Normalsterblicher nicht vorstellen. Aber als Astrophysiker lernen Sie, dass beides messbar ist – und das ist dann etwas ganz Faszinierendes, denn so wird das Unvorstellbare Wirklichkeit. Wenn man das als Beruf hat, ist das wirklich besonders. Und ich bin meinem mit 10 gefassten Beschluss, Expeditionen zu begleiten, tatsächlich sehr nahegekommen. Jede Reise, die ich als Lektor auf einer der SEA CLOUDS begleite, ist ja ein solches Abenteuer. Denn es ist Reisen in seinem ursprünglichen Sinn …